Warum sind Werkstätten (WfbM) so erfolgreich?


Seit ihren Anfängen vor fast 40 Jahren sind die Werkstätten stetig gewachsen, ohne dabei ihre Grundstruktur wesentlich zu ändern. Während sie zunächst nur Menschen mit einer geistigen Behinderung, schweren Körperbehinderung oder Mehrfachbehinderung aufgenommen haben, ist in den letzten 20 Jahren die Bandbreite der Personen, die Aufnahme begehrten, immer größer geworden. Anfang der 90-er Jahre wurde ich von Werkstattleitungen und Gruppenleitern häufig belächelt, wenn ich behauptete, dass in absehbarer Zeit ebenso viele Menschen mit psychischen Behinderungen in Werkstätten arbeiten würden wie mit geistiger Behinderung. Die Kostenträger meinten damals kategorisch, dass 10% Menschen mit einer psychischen Behinderung da absolute Maximum in der Werkstatt sein würden. Ich habe damals der Werkstätten empfohlen, trotzdem anzubauen und ihre Mitarbeiter auf die Betreuung der neuen Klientel vorzubereiten. Entgegen meinem Rat meinten einige Werkstätten, für die Arbeit mit psychisch behinderten Menschen sei eine ganz andere Art Werkstatt mit anderen Arbeitsangeboten notwendig. Andere meinten, die Lösung seien „Integrationsfirmen“; sie alle haben sich getäuscht – und manche haben sehr viel Lehrgeld zahlen müssen bis sie begriffen haben, dass es gerade die Werkstatt mit ihrer traditionellen Arbeits- und Betreuungsstruktur ist, die den Menschen bei der Integration ins soziale und Arbeitsleben hilft. Seit ein oder zwei Jahren haben wir es mit einem neuen „Boom“ zu tun: der Aufnahme von „jungen Wilden“, von jungen Menschen, die so massive Störungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und in ihrem Verhalten haben, dass sie keine „normale“ Arbeitsstelle ausfüllen können. Nie in den über 30 Jahren, in denen ich Werkstätten berate und Mitarbeiter fortbilde, hatte ich so viel Nachfrage wie bei dem Thema „Umgang mit jungen Wilden“. Dabei versuchen die Arbeitsverwaltungen seit einigen Jahren, diesem Problem Herr zu werden, indem sie immer neue Maßnahmen zu Qualifizierung und beruflichen Integration der Jugendlichen initiieren. Die Erfolgsquote dieser Maßnahmen wird immer geringer (was man natürlich nicht gerne zugibt), und das Scheitern scheint immer mehr zu einem unlösbaren Problem zu werden. Die letzte Rettung scheint dann die Werkstatt zu sein – und die Werkstatt wird Lösungen finden (wenn sie auf ihrem Weg bleibt)!!

Was ist das Besondere an der Werkstatt?

1. In der WfbM steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt – nicht eine abstrakte Anforderung wie ein „Berufsabschluss“ oder die Erreichung irgendeines Zieles zu statistischen Zwecken oder die Integration in ein selbst organisiertes Arbeitsverhältnis.

2. In der WfbM steht der betreuten Person 1/6 oder 1/12 Gruppenleiter (abstrakt und unverständlich auch „FAB“ genannt) zu Verfügung, und zwar kontinuierlich und langfristig mindestens 7 Stunden am Tag 5 Tage die Woche. Dieser Gruppenleiter betreut ihn, er ist Bezugsperson und Ansprechpartner nicht nur in Fragen, die die Arbeit betreffen. Der Gruppenleiter hat zusätzlich ein Team von Kollegen und Fachleuten, die ihn genau bei dieser Aufgabe unterstützen. Der Gruppenleiter hat in der WfbM ausdrücklich nicht die Aufgabe, mit seinem Betreuten ein Ziel erreichen zu müssen, das außerhalb seiner persönlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten liegt (im Gegensatz z.B. zu einer Lehrkraft in einem Berufsbildungswerk).

3. In der Werkstatt wird „richtig“ gearbeitet, d.h. die Mitarbeiter produzieren Werte wie jeder „normale“ Produzent auch. Arbeit in der WfbM ist Arbeit und keine Beschäftigungstherapie. In der Beratung von Tagesstätten konnte ich immer wieder die Erfahrung machen, dass die Motivation zu kommen und zu bleiben sprunghaft stieg, wenn man sich Arbeiten (z.B. Mon-tage oder Verpackung) aus einer WfbM holte. Alle Tagesstätten wurden bezüglich der Kontinuität Effektivität ihrer Betreuung um so erfolgreicher, je mehr sie sich der Struktur einer Werkstatt annäherten. Hatten die Besucher – egal welcher Herkunft und Vorbildung – die Wahl zwischen „Kreativtätigkeit“ oder „richtiger Arbeit“, so wählten sie fast ausnahmslos die „richtige Arbeit“. Obwohl sie für den Markt produziert, hat die Werkstatt die Möglichkeit (und die Verpflichtung), den Druck des allgemeinen Arbeitsmarktes vom einzelnen Mitarbeiter fern zu halten. Grund dafür ist ihre überwiegende Finanzierung aus Steuermitteln ebenso wie die Tatsache, dass die Mitarbeiter ihren Lebensunterhalt nicht aus dem Arbeitsergebnis bestreiten müssen. (Merke: Der wichtigste „Kunde“ der Werkstatt ist der Steuerzahler!)

4. Werkstatt arbeitet prinzipiell mit „Open End“, damit hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber allen zeitlich begrenzten Maßnahmen. Die zeitliche Begrenzung stellt für Menschen mit psychischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen einen Stressfaktor dar, der die Tätigkeit vom ersten Tag an überschattet – sie können sich nicht auf den Moment konzentrieren, weil sie immer den Abschluss im Kopf haben. Die zeitliche Unbegrenztheit hat den weiteren Effekt, dass in der Werkstatt dauerhafte persönliche Beziehungen und Gruppenkulturen entstehen können. Für viele Mitarbeiter ist die Werkstatt der wichtigste persönliche und soziale Lebensraum. Trotzdem ist die Werkstatt kein „geschlossener“ Lebensraum. Er ist vielmehr Startrampe für das Leben im öffentlichen Raum und Rückzugsraum, wenn es darum geht die dort gemachten Erfahrungen zu verarbeiten. In dieser Hinsicht ist Werkstatt auch Familienersatz.

5. Die Werkstatt ist per Gesetz solide finanziert – auch wenn es Kostenträger manchmal nicht wahr haben möchten (und manche Werkstattträger nicht wissen). Damit bieten sie allen Beschäftigten (angestellten wie betreuten) eine sichere ökonomische Basis, die Projektfinanzierte Einrichtungen (insbesondere die durch die Arbeitsagentur finanzierten Projekte) nicht haben.

Jugendliche in derWfbM

In der letzten Zeit kommen immer mehr Anfragen, ob die Werkstätten auch Jugendliche unter 18 Jahren aufnehmen können. Auch hier bin ich der Auffassung, dass für viele der Jugendlichen die von der Werkstatt vorgehaltene Grundstruktur eine echte Chance zur Integration sowohl ins Arbeitsleben als auch in „normale“ Strukturen des Alltagslebens bieten kann. Allerdings bin ich der Meinung, dass man die Jugendhilfe und damit die Gesellschaft nicht aus ihrer besonderen Verantwortung und Verpflichtung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen entlassen sollte. Deshalb sollten Maßnahmen für Jugendliche bis 18 Jahre nicht in der direkten Verantwortung der WfbM stattfinden sondern in einer kooperativen Form der Organisation zwischen Werkstatt und Jugendhilfe.

Netphen, im Februar 2009
Helmut Johnson