2-Jährige berufsbegleitende Fortbildung
Systemische Beratung und Betreuung
Zusammenfassung
Der Siegener Systemische Ansatz bietet ein Entwicklungsmodell für Organisationen. Er versteht Entwicklung als einen dialektischen Prozess, der in Personen und zwischen Personen stattfindet. Basis der Entwicklung einer Organisation ist die persönliche Identität der in ihr organisierten Personen. Aus dem dialektischen Zusammenwirken unterschiedlicher persönlicher Identitäten resultiert qualitativer Fortschritt des gemeinsamen Produkts. Es wird ein Modell der Hierarchisierung dieser dialektischen Prozesse entworfen. Die Notwendigkeit der Entwicklung von Organisationen wird in Zusammenhang gestellt mit der Bedeutung des von ihnen hergestellten Gegenstandes.
Einleitung
Dieser Aufsatz will darstellen, wie im Zusammenwirken von Personen neue Produktqualität entsteht. Er will weiterhin darstellen, wie man eine Organisation dahin entwickeln kann, dass sie neue Qualitäten herstellt. Der in diesem Aufsatz beschriebene Ansatz ist das Ergebnis einer 10-jährigen Entwicklung (mittlerweile 45 Jahre Anmerk. von H. Johnson), in die die Erfahrungen aus unserer eigenen Fortbildungs- und Beratungstätigkeit, vor allem aber auch die Erfahrung unserer Schüler und von Betrieben oder Organisationen eingehen, die wir seit längerer Zeit beraten.
Innerhalb der 10 (45 Anmerk. H. Johnson) Jahre gab es neben einer Kontinuität in der Entwicklung unseres Ansatzes Stillstände und Blockierungen. Aus heutiger Sicht war die größte Blockierung das “Denken in Beziehungen”, das insbesondere durch die Übernahme eines Regelsystemmodells noch verstärkt wurde. Diese Sichtweise funktionalisiert den Einzelnen zum Objekt seiner Beziehungen. Die Beziehungssicht führt und führte dazu, dass sich Entwicklung in der Behebung von Defiziten erschöpft. Diese Sichtweise reicht nur so lange aus, wie man sich innerhalb von Defekt- bzw. Reparaturkategorien bewegt. Will man die Möglichkeit einer Entwicklung über gegebene Grenzen hinaus beschreiben, erweisen sie sich als unbrauchbar.
Der entscheidende Schritt in unserer Entwicklung war die Feststellung, dass das Entwicklungspotential nicht in den Beziehungen zwischen den Personen liegt, sondern in den Personen, die die Beziehungen machen.
Für das weitere Vorgehen ist es notwendig, einige Begriffe zu klären. Unter “Organisation” verstehen wir organisiertes Zusammenwirken von Personen mit dem Zweck und Ziel, ein Produkt herzustellen. Der Begriff “Produkt” wird in dem Zusammenhang sehr allgemein eingesetzt, “Produkt” kann ein Gegenstand sein, z.B. ein Auto, es kann eine Dienstleistung sein, es kann Fortbildung, und es kann Heilen sein. Es kann aber auch Erziehung von Kindern oder es kann Sicherheit sein.
Das System Persönlichkeit
Unser Verständnis von Personen oder Persönlichkeit bedarf einer ausführlicheren Beschreibung, da wir, wie schon erwähnt, der Person die entscheidende Rolle bei der Herstellung neuer Qualitäten zuschreiben. Persönlichkeit ist ein sich in ständiger Entwicklung befindendes System. Sie entsteht aus Anwendung vorgegebener Lebenserfahrungen auf die Lebensbedingungen, d.h. auf Anforderungen der Umwelt. Dieser Prozess beschränkt sich nicht auf die Lebensdauer eines Menschen, sondern er wird innerhalb der Familie von einer Generation an die nächste weitergegeben.
Abb. 1 System Persönlichkeit
Das Kind, das sich zur selbständigen Persönlichkeit entwickeln soll, findet sich in der Regel mit zwei unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensweisen, der des Vaters und der der Mutter, konfrontiert. Ausgangspunkt der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit ist der nicht auflösbare Widerspruch zweier unterschiedlicher Lebenssysteme, die jedes für sich in der Lage sind, sich adäquat mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Das Kind hat also für seine Lebensweise zwei “richtige” Vorlagen, die es häufig in seinen Verhaltensstrategien gegenüber der Umwelt in eine Entweder-oder-Situation bringen, die keine rationale Entscheidung für das eine oder andere erlaubt. Diese Unterschiedlichkeit der Ausgangsmodelle, die in der konkreten Situation zu unauflösbaren Widersprüchlichkeit wird, zwingt das Kind, einen “eigenen” Ausweg zu suchen. Der Ausweg, der beide Ausgangsmodelle beinhaltet, macht es notwendig, einen bisher nicht denkbaren Weg zu gehen, eine “neue Qualität” zu entwickeln. Man kann sich diese Qualität so vorstellen, dass die Gegensätzlichkeit der Ausgangspole eine Bewegung erzeugt, die eine Integration ermöglicht (siehe Abb.1). Diesen Prozess nennen wir “Persönlichkeit”. Persönlichkeit ist der Versuch, Unvereinbares vereinbar zu machen und damit ein ständig ablaufender Prozess. Persönlichkeit ist nie fertig, sondern sie muss sich immer dann entwickeln, wenn neue Anforderungen aus der Umwelt auf sie zukommen. Insofern ist in der Erscheinungsform der Persönlichkeit die Umwelt ebenso erhalten wie die Dialektik ihrer Herkunft (ich habe diesen Prozess in Heft 3 dieser Zeitschrift im Aufsatz “Die Aufgaben der Psychologie in unserer Zeit- Entwicklung der Persönlichkeit mit einer dialektisch historischen Psychologie”, 1988, näher beschrieben).
Persönlichkeit als eigenständiges unabhängiges System mit einer eigenen Identität resultiert aus einer historischen Dialektik, umgesetzt in aktuellem Handeln.
Die erste Dialektik der Organisation
Die kleinste Einheit organisierten Handelns ist das Zusammenwirken von zwei Menschen. Prototyp hierfür ist natürlich das Zusammenleben von Mann und Frau in einer Ehe. Formuliert auf Basis unseres Systemmodells bedeutet das: zwei eigenständige Systeme mit jeweils eigener Identität wirken zusammen, um ein gemeinsames Produkt herzustellen. Im Fall von Mann und Frau also z.B. Ehe/ Zusammenleben/ Nachwuchs usw. Am Beispiel Ehe wird deutlich, dass das Produkt, das zwei unabhängige Personen zusammen herstellen, jeweils eine eigene Qualität gewinnt. So wird sich im Ergebnis jede Ehe von jeder anderen unterscheiden.
Das gleiche tritt jedoch auch dann ein, wenn zwei beliebige Personen zusammen ein Produkt herstellen, das in der Art seiner Herstellung und in seiner endgültigen Form nicht vollkommen festgelegt wird. Auch hier müssen zwangsläufig neue Qualitäten entstehen. Ich möchte als Beispiel die Zusammenarbeit zweier Architekten nennen, die zusammen bei gegebenem Preis und Grundstück ein Gebäude planen. In dem fertigen Modell, das beide zusammen erstellt haben, findet sich jeder der beiden wieder. Jeder der beiden wird aber auch zugeben, dass er allein den Plan in dieser Art nicht hätte erstellen können. Gibt man einem zweiten Architektenteam dieselbe Aufgabe, werden sie einen ganz unterschiedlichen Plan vorlegen, für den sich dasselbe feststellen lässt wie beim ersten Team. Beim ersten wie beim zweiten ist die Voraussetzung für die Herstellung einer eigenen Qualität die Möglichkeit, seine persönliche Eigenart in das Produkt mit einbringen zu können. Die zweite Voraussetzung beinhaltet, Dass jeder der beiden Beteiligten eigene Ideen bzw. eigene Fähigkeiten hat, die unabhängig vom anderen sind. Das Produkt wird umso überraschender und eigenständiger sein, je mehr Eigenheiten jeder der beiden beteiligten Architekten einbringen kann – der Entwurf verspricht dann besonders interessant zu werden, wenn jeder von den beiden das Gebäude auch für sich allein planen könnte.
Ein anderes Beispiel für die Möglichkeit, eine neue Qualität herzustellen, wäre die Zusammenarbeit eines Schreiners und eines Designers bei der Herstellung eines Möbelstückes. Für sich allein könnte der Designer lediglich das Möbelstück zeichnen, der Schreiner ein schon vorgegebenes Muster nachbauen. Beide zusammen können ein Möbelstück herstellen, das es bisher noch nicht gab. Aus der arbeitsteiligen Zusammenarbeit zweier unabhängiger Systeme entsteht eine neue Qualität.
Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Im Unterschied zum Designer- Schreiner- Beispiel, bei dem die Unabhängigkeit der beiden Systeme schon durch die berufliche Qualifikation beschrieben ist, liegt die Unabhängigkeit der beiden Systeme im Architektenbeispiel letztendlich in der Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten der beteiligten Personen. Im Ergebnis haben jedoch haben wir in beiden Beispielen die Entwicklung eines bisher nicht dagewesenen Produkts neuer Produktqualität.
Wo liegen in den genannten Beispielen die Potentiale für zukünftige Weiterentwicklung?
Abb. 2 Wenn zwei unabhängige Systeme an einem Produkt (Projekt) arbeiten, entsteht neue Qualität.
Generell macht die Unterschiedlichkeit, die Unabhängigkeit der beiden beteiligten Personen, die Entwicklung einer neuen Qualität notwendig (siehe Abb.2). Will man zusätzlich neue Qualitäten erreichen, ist es notwendig, zusätzliche Potentiale in jedem der Beteiligten zu aktivieren. Im Beispiel Designer- Schreiner würde vielleicht schon eine zusätzlich berufliche Qualifikation der beiden Beteiligten, also eine Fortbildung, dazu führen, dass sie etwas Neues entwickeln können. Am Beispiel der beiden zusammenarbeitenden Architekten wird die Frage schon komplizierter. Wenn wir unser Denkmodell zugrunde legen, würde eine gleichartige zusätzliche berufliche Qualifikation beider noch nicht zur Herstellung neuer Qualitäten ausreichen. Wenn wir davon ausgehen, dass beide eine optimale berufliche Qualifikation haben, liegt das Entwicklungspotential dieser Konstellation darin, dass jeder der beiden Beteiligten mehr von sich selbst, von seiner persönlichen Eigenart, einbringen kann. In diesem Fall liegt die Möglichkeit einer qualitativen Entwicklung also in der erweiterten persönlichen Identifikation jedes der beiden mit dem Objekt.
Die letztgenannte Variante der Entwicklung von Qualitäten wird umso entscheidender, je weiter Qualifikationsräume ausgenutzt sind.
Die Möglichkeiten und Grenzen einer erweiterten Identifikation mit dem Produkt werden wir weiter unten erörtern.
Die Entwicklung von Produkten in einer Organisation
Wenn mehrere Personen bei der Herstellung eines Produktes zusammenwirken, entsteht eine Organisation. In der Regel ist es eine hierarchische Organisation.
Abb. 3 Hierarchie der Systeme
Die Erfahrung zeigt, dass hierarchische Organisation auch dann entsteht, wenn dies ausdrücklich nicht gewünscht wird, z.B. in basis- demokratisch angelegten alternativen Projekten. Lediglich bei Projekten, die nicht darauf angelegt sind, ein verwertbares Produkt herzustellen, scheint man darauf verzichten zu können.
Wir erklären diese Erscheinung folgendermaßen (s. Abb. 4):
Abb. 4 Systemstruktur eines Systems ohne Hierarchie
Die Basis der Entwicklung einer Qualität ist die Zusammenarbeit von 2 Personen. Wenn nur 5 Personen ohne hierarchische Organisation an der Herstellung eines Produkts arbeiten, entsteht bereits ein äußerst kompliziertes Geflecht von Einzelprodukten, die jeweils 2 Personen herstellen. Der damit verbundene Kommunikations- und Abstimmungsprozess neigt dazu, sich zu verselbständigen und die Entscheidung für ein Produkt unmöglich bzw. nebensächlich zu machen. Basis- demokratisch organisierte Betriebe sind deshalb häufig über die “Diskussionsphase” nicht hinausgekommen. Wenn man einige dieser Projekte genauer analysiert, kann man feststellen, dass sie auch nicht darüber hinauskommen mussten, weil sie sich nicht über ein Produkt, das sie verkaufen mussten, zu finanzieren hatten, sondern häufig mit dem Auftrag, die Kommunikationsfähigkeit der Teilnehmer zu fördern, fremdfinanziert waren. Anders dagegen bei Betrieben mit einem ähnlichen ideologischen Fundament, die aber angetreten waren, um eine Ware zu vermarkten. Dort gab es sehr bald gewählte oder selbsternannte Leiter mit weitreichenden Entscheidungskompetenzen.
Zwei Sichtweisen der Hierarchie
Im Folgenden möchte ich das hierarchische Modell der Organisation auf Basis des bisher dargestellten Ansatzes näher untersuchen. Ich möchte analysieren, wo in dem System die Gelegenheit besteht, neue Qualitäten in der Zusammenarbeit herzustellen.
Typ 1
Die “preußische Ordnung”
Abb. 5 “Preußische” Hierarchie
In diesem Typ denkt und lenkt ausschließlich A. Die Aufgabe von B1 und B3 besteht darin, das von A Erdachte und Strukturierte in seinem Sinne auszuführen. Die Zusammenarbeit der B`s untereinander ist festgelegt und reglementiert. Die einzelnen B`s sind weitgehend ersetzbar und austauschbar. Sie haben keine eigene Identität, sondern sind Funktionen von A.
Wo findet in diesem System Entwicklung statt? Da die einzelnen B`s keine eigene Identität haben, kann weder in der Zusammenarbeit der B`s untereinander noch im Zusammenwirken der B`s mit A eine neue Qualität entstehen. In diesem System kann eine neue Qualität lediglich in A entstehen. Jede Entwicklung der Organisation ist Resultat der Entwicklung von A. Ein solches System neigt dazu, statisch und wenig innovativ zu sein.
Typ 2
Die “demokratische Ordnung”
Abb.6 Hierarchisches System demokratischer Ordnung
In der Hierarchie dieses Typs ist die Rolle des Leiters A im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass er die Aufgabe hat, sich und jeden Einzelnen der Ebene B und seine Tätigkeit in die Organisation und ihr Gesamtprodukt zu integrieren. Die Rolle von A als Leiter des Systems resultiert daraus, dass er mit jedem Einzelnen ein “Produkt” herstellt. Sie resultiert auch daraus, dass sie als einziger des Gesamtsystems die Aufgabe hat, mit jeder Person der Ebene B zusammenzuarbeiten.
Die konkrete Zusammenarbeit zwischen A und einem einzelnen B ist nicht hierarchisch, sondern vergleichbar mit der Zusammenarbeit zweier unabhängiger Systeme im Sinne unseres Designer- Schreiner- Beispiels oder des Architektenbeispiels. Das Produkt des Gesamtsystems resultiert aus der unabhängigen Identität der einzelnen Beteiligten sowohl auf Ebene A als auch auf Ebene B. Das System entwickelt sein Produkt in dem Maße, wie A in der Lage ist, jeden einzelnen Beteiligten der Ebene B in den Gesamtprozess zu integrieren.
Geht man von der Überlegung aus, dass die Mitglieder der Organisation unabhängige persönliche Systeme mit jeweils eigener Identität darstellen, resultiert nach unseren Vorannahmen bei der gegebenen Organisationsform daraus sie Notwendigkeit, dass sich das System ständig entwickelt. Die Entwicklung neuer Qualitäten ist als Automatismus in das System eingebaut.
Wo liegen Entwicklungspotentiale des Systems des Typen B?
In diesem Systemtyp ist die Entwicklung ein wesentlich komplexerer Prozess als beim System vom Typ A. Allgemein gesagt, resultiert sie aus dem Grad der Unabhängigkeit der beteiligten Einzelsysteme, egal auf welcher Ebene der Hierarchie sie stehen. Entwicklung wird umso mehr neue Qualitäten herstellen, je größer der Grad der Unabhängigkeit dieser Einzelsysteme ist. Die Entwicklungspotentiale liegen demnach in den einzelnen beteiligten Personen.
Zusätzlich ist es für die Entwicklung der Organisation als Ganzes notwendig, dass die Potentiale der einzelnen beteiligten Personen sich im konkreten Zusammenhandeln mit dem Leiter A umsetzen. In dem letztgenannten liegt eine wesentliche Bedingung zur Entwicklung der gesamten Organisation. So entstehen bei der Zusammenarbeit von Personen auf der Ebene B, also z.B. zwischen B1 und B2, natürlich ebenso neue Produktqualitäten wie bei der Zusammenarbeit zwischen A und B1, da auch hier der Grundsatz gilt, wenn zwei unabhängige eigenidentische Systeme zusammen ein Produkt herstellen, muss Entwicklung entstehen. Diese neue Qualität, die zwischen B1 und B2 entsteht, trägt jedoch nur dann zur Entwicklung der Organisation bei, wenn sie über die Prozesse A- B1 A- B2 in die Gesamtorganisation integriert wird (siehe Abb.7). Wenn also B1 und B2 ein neues Verfahren entwickeln würden, das ihre Arbeit wesentlich verbessern würde und sie dieses Verfahren bewusst oder unbewusst nicht an ihren Leiter A weitergeben würden, würde diese Entwicklung zur Desorganisation und nicht zur Entwicklung der gesamten Organisation beitragen.
Abb. 7 Integration eines auf Ebene B hergestellten neuen Produkts in das System
Die Entwicklungspotentiale dieses Systemtyps liegen in der Unterschiedlichkeit der Differenzierbarkeit der Eigenidentität der Einzelnen im System organisierten Persönlichkeiten. Jede Eigenart, die die einzelne Person mehr in den Prozess der Produktherstellung einbringt, entwickelt das Produkt und die Organisation als Ganze.
Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Typ 1 und System Typ 2
Beide Organisationstypen sind hierarchische Systeme. Während jedoch in Typ 1 die Ebene B
Funktion von Ebene A ist und damit in der Entwicklung neuer Qualitäten keine eigenständige Rolle spielt, ist in Typ 2 die Eigenart der einzelnen Mitglieder von Ebene B eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung des Systems. Ganz wesentlich unterscheiden sich die Anforderungen, die an die Leiter A der beiden Systemtypen gestellt wird.
Anforderungen an die Leiterpersönlichkeit im System Typ 1 und System Typ 2
Der Leiter des Typs 1 (L1) entwickelt besondere Fähigkeiten darin, Aufgaben und Prozesse klar zu strukturieren und diese Strukturen den ihm nachgeordneten den ihm nachgeordneten Ebenen zu vermitteln. Der Leiter des Systems Typ 2 (L2) entwickelt eine besondere Fähigkeit darin, die individuellen Fähigkeiten der ihm auf Ebene B zugeordneten Personen in die Herstellung des Gesamtproduktes zu integrieren.
Für L1 ist die bestmögliche, wenn nicht überlegene fachliche Qualifikation entscheidendes Merkmal. Für L2 ist die persönliche Eigenständigkeit entscheidend.
L1 hat die Verantwortung für die Organisation und deren Produkte, L2 muss die Verantwortung mit seinen Mitarbeitern ständig neu herstellen.
L1 legt mehr Wert auf die richtige Auswahl von Mitarbeitern, L2 legt mehr Wert auf die Weiterqualifizierung von Mitarbeitern.
L1 hat sich die Leistungsrolle entweder erarbeitet, sie ererbt oder sie verliehen bekommen, L2 muss sich die Leistungsrolle ständig neu erarbeiten.
L1 hat Autorität, die Autorität von L2 entsteht als Ergebnis des Organisierungsprozesses.
Die Autorität von L1 ist für Außenstehende im Kommunikationsprozess zwischen ihm und den Mitarbeitern sichtbar. Die Autorität von L2 wird, wenn überhaupt, erst in der Qualität des Produktes sichtbar.
Strukturelle Bedingungen für qualitative Organisationsentwicklung
Die Größe des Systems aus unserem Grundpostulat leiten wir ab, dass die größte Dynamik aus der Zusammenarbeit zweier unabhängiger Persönlichkeiten, zweier Systeme, resultiert. Wir haben dieses Grundpostulat auf die Betrachtung hierarchischer Systeme übertragen und festgestellt, dass der unmittelbar konkreten Zusammenarbeit zwischen dem Leiter der Ebene A und der einzelnen Person auf Ebene B die zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Organisation zukommt. Die Strukturierung der Organisation muss dem Rechnung tragen, indem sie es ermöglicht, dass die unmittelbare Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen A und jedem B stattfinden kann. Erste Voraussetzung dafür ist eine quantitative: Die Anzahl der Personen auf Ebene B, die A “verarbeiten” kann, ist begrenzt. Wenn die Anzahl der zu leitenden Mitarbeiter auf Ebene B zu groß ist, entsteht ein statisches System im Sinne Typ 1 selbst dann, wenn alle Beteiligten an der Organisation es ausdrücklich anders wünschen.
Dabei spielt sowohl die Zeitökonomie als auch die Komplexität des Gegenstandes eine Rolle. Es muss die Gelegenheit bestehen, dass jeder einzelne Mitarbeiter die Möglichkeit hat, seine neuen Erfahrungen mit dem Arbeitsgegenstand an A weiterzugeben. Andererseits muss A die Möglichkeit behalten, die einzelnen Personen von Ebene B einerseits unterscheiden zu können und andererseits die Einzeltätigkeiten in ein Gesamtes integrieren zu können. Wenn also z.B. ein Leiter einer Beratungsinstitution 80 Personen zu leiten hat, wird die innere Entwicklung dieser Organisation eher zum Stillstand neigen, da es unmöglich ist, jeden einzelnen Berater persönlich in den Gesamtprozess zu integrieren. Selbst bei einem ausdrücklich formulierten demokratischen Anspruch in dieser Institution ist es nicht anders als durch formalmechanistische Maßnahmen im Sinne des Typ 1 möglich, dieses System überhaupt zu erhalten. Wenn dann noch der Struktur des Typ 1 Ideen gegenüberstehen, die eher demokratischen Ansprüchen entsprechen, entsteht Chaos und Stillstand. Die Lösung für dieses Problem kann nur der Einführung einer weiteren hierarchischen Ebene liegen.
Ein weiteres Problem mit der Quantität taucht dann auf, wenn Ebene B mit nur einer Person besetzt ist. In diesem Fall hat der Leiter nur eine Person zu leiten, und damit ist die Unabhängigkeit der Systeme aufgehoben. A ist abhängig von B, B ist abhängig von A und dadurch Entwicklung unmöglich (diese Form taucht, obwohl sie unlogisch erscheint, in mehr oder weniger verdeckter Form vor allen Dingen in Leiter- Stellvertreter- Konstellationen häufiger auf als man denkt).
Kommunikationsorgane
In der Bewertung der Kommunikation haben oft Gruppenbesprechungen einen höheren Stellenwert als Einzelbesprechungen. Damit wird der Konstellation, in der hauptsächliche Entwicklung stattfindet, auch in ihrer zeitlichen Organisierung häufig nicht ausreichend Rechnung getragen. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Besprechungen oder Sitzungen zu, an denen Personen aus mehr als zwei übereinander liegenden hierarchischen Ebenen teilnehmen.
Abb. 8 System mit 3 hierarchischen Ebenen
Wenn Entwicklung und Leistungsqualität das Ergebnis der Integration von Einzelprodukten ist, die B1 mit C1 bis C3 und B2 mit C4 bis C6 sowie A mit B1 und B2 herstellen, dann stellt sich die Frage, was passiert, wenn in einer Besprechung A mit Ebene C diskutiert. A könnte ähnlich wie die B`s zusammen mit den C`s Strategien entwickeln. Es könnte ihm sogar gelingen, jeden einzelnen C anzusprechen. Das wäre dann das Zeichen dafür, dass Ebene B überflüssig wäre. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass A gegenüber C seine Einschätzung und Anweisungen bekannt gibt. In diesem Falle wäre die Unabhängigkeit der Systeme auf der Ebene B und C in Frage gestellt, und es entstünde ein statisches System. Besprechungen über 3 Ebenen beinhalten die Gefahr, entweder zur Auflösung von Organisation oder zur Blockierung von Entwicklung zu führen.
Die Identität der Organisation
Ebenso wie eine Persönlichkeit hat auch eine über einen historischen Prozess entwickelte Identität. Genauso wie sich z.B. in einer Familie Lebenserfahrung ansammelt und in der persönlichen Auseinandersetzung mit der Umwelt neu verwertet wird, sammelt sich auch in einer organisierten Gruppe von Menschen Lebenserfahrung an, die Ausgangspunkt der Auseinandersetzung dieser Organisation mit der Gesellschaft wird.
Wenn ein neuer Betrieb oder eine Organisation gegründet wird, dient zunächst das persönliche System des oder der Gründer als Muster für die betriebliche Organisation. Vielfach ist z.B. bei kleineren Unternehmen der Inhalt und die Struktur des Familiensystems des Gründers in vielen Einzelheiten des betrieblichen Ablaufs und der betrieblichen Organisation wiederzufinden.
Ähnliches gilt für Teilbereiche in größeren Betrieben. So ist nicht selten eine Abteilung das Spiegelbild der Persönlichkeit des Abteilungsleiters, der sie aufgebaut hat, bzw. lange geführt hat.
Die Entwicklung einer Organisation hängt davon ab, dass es den Nachfolgern gelingt, die in der historischen Entwicklung des Betriebs liegenden Potentiale aufzugreifen, ohne die eigene persönliche Qualität ausschließlich durch sie zu identifizieren. Dieser Prozess ist umso wichtiger, je größer der Entscheidungsspielraum, je höher die Position in der Organisation der Person ist. Die qualitative Entwicklung eines Gesamtbetriebes resultiert demnach nie daraus, dass ein neuer Betriebsleiter seinen Vorgänger negiert, sondern daraus, dass er in der Lage ist, die von den Vorgängern entwickelte Identität zu erkennen, aufzugreifen und sich auf Basis seiner eigenen Identität konstruktiv damit auseinanderzusetzen.
Abb. 9
Wo liegen die Ressourcen für eine Weiterentwicklung der Organisation, wenn man diese Überlegungen zugrunde legt? Entwicklung ist in diesem Fall das Produkt der unabhängigen Systeme “Betriebsgeschichte” auf der einen Seite und “Persönliche Identität der Leistungspersönlichkeit” auf der anderen Seite. Dieses Produkt vergrößert sich dadurch, dass es möglich wird, zusätzliche Ressourcen auf beiden Seiten zu aktivieren. Für die qualitative Weiterentwicklung der Organisation ist es von daher notwendig, die in der Geschichte der Organisation liegenden Potentiale ebenso zu analysieren und verfügbar zu machen wie auf der anderen Seite die vom Betrieb unabhängigen Ressourcen der leitenden Mitarbeiter zu aktualisieren und in erweitertem Maße auf den gesamten Entwicklungsprozess zu beziehen.
Das Produkt als Antrieb für die Entwicklung der Organisation
Vorhandene Entwicklungspotentiale, wie wir sie beschrieben haben, werden nicht immer und automatisch in Entwicklung umgesetzt.
Wenn vom Gegenstand her, vom Produkt, das man gemeinsam herstellt, Entwicklungen nicht notwendig sind, wenn es im Gegenteil sinnvoll oder notwendig ist, dass sich das Produkt der Zusammenarbeit und auch die Zusammenarbeit als Produkt nicht weiterentwickeln, werden auch alle Versuche, Entwicklungen in Gang zu setzen, keinen Erfolg haben.
Warum stehen wir aber gerade heute vor dem Phänomen, dass im gesamtgesellschaftlichen
Kontext die Entwicklung der Organisation einen höheren Stellenwert hat als die Statik? Die
Gesellschaft reagiert damit auf eine Veränderung des zu organisierenden Gegenstandes. Die Art und Weise, wie man Produkte herstellt und welche Produkte man herstellt, hat sich aufgrund eines technologischen Entwicklungssprungs grundlegend gewandelt. So konnte man ein Menschenalter zurück noch davon ausgehen, dass eine Person, die eine Berufsausbildung gemacht hat bzw. einen beruflichen Weg eingeschlagen hatte, diese Qualifikation oder diesen Weg auch im Großen und Ganzen bis zum Ende ihres Berufslebens beibehalten konnte. In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass dies heute nur noch für sehr wenige Berufe gilt. Es lässt sich heute nicht mehr voraussagen, ob die heutige Qualifikationsbasis für einen Beruf auch noch in 20 Jahren gültig ist. Im Gegenteil lässt sich für viele Berufe vorhersagen, dass die heutige Basis nur sehr kurz Gültigkeit haben wird. Das, was die einzelne Person an beruflicher Qualifikation in den Produktionsprozess bzw. in die Organisation einbringt, ist, bedingt durch den zu produzierenden Gegenstand, nicht festliegend, sondern entwickel- bzw. wandelbar. Das gilt nicht nur für technische Berufe, es gilt ebenso für Verwaltungs- und Dienstleistungsberufe.
Die Besonderheit des technologischen Entwicklungssprungs der letzten Jahre liegt darin, dass er eine sehr schnelle und sehr weitgehende Veränderung der Produktionsweise mit sich brachte. Für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen stellt sich das Problem, diese Entwicklung auf der Basis der eigenen historischen Identität zu verarbeiten und weiter Subjekt, also Handelnde, zu bleiben. Wenn dies nicht gelingt, geht für den Einzelnen die Basis seiner Existenz verloren und für die Gesellschaft die Grundlage für das Zusammenleben. Die Frage der Entwickelbarkeit bzw. Entwicklungsfähigkeit von Personen und von Organisationen wird zur Überlebensfrage.
Damit gewinnt heute Entwicklungsfähigkeit der Person gegenüber beruflichem Wissen und technischen Fertigkeiten eine übergeordnete Bedeutung, und damit schließt sich der Kreis unserer Überlegungen: Entwicklungsfähigkeit des Einzelnen resultiert aus persönlicher Identität. Entwicklung einer Organisation resultiert aus der Organisierung der Entwicklungsfähigkeit Einzelner. Die Frage der Entwicklung des Einzelnen und der Organisation und nach der Identität des Einzelnen stellt sich durch die Veränderung des Gegenstandes, mit dem beide zu tun haben, durch die veränderten technischen Möglichkeiten im Umgang mit der Umwelt.